Ein neues Kapitel beginnt

Equal Pay: Aktuelle BAG-Entscheidung & offene Fragen 

Welcher Vergütungsanspruch kann geltend gemacht werden, wenn ein Arbeitgeber nicht belegen kann, dass festgestellte Vergütungsunterschiede auf objektiven und geschlechts- neutralen Kriterien beruhen?

26.10.2025

Eine Bewertung des aktuellen Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu einem zentralen Aspekt von Fair Pay und Pay Transparency.

Auf ein vielbeachtetes Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) in Stuttgart (2 Sa 14/24) zu möglichen Vergütungsansprüchen als Folge einer Geschlechtsdiskriminierung folgte am 23. Oktober 2025 eine für die Praxis wegweisende Entscheidung des BAG.

Im Kern ging es um die Frage, welcher konkrete Vergütungsanspruch im Zuge einer Klage geltend gemacht werden kann, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist zu belegen, dass die festgestellten Vergütungsunterschiede auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien beruhen.

Worum ging es im Stuttgarter LAG-Urteil?

Die Klägerin vor dem Stuttgarter Landesarbeitsgericht bekam insoweit Recht, als dass ihr ein Ausgleich für mehrere Vergütungselemente zugesprochen wurde, einschließlich einer Zuteilung aus einem Performance-Share-Plan und Bausteinen zur betrieblichen Altersversorgung.

Neu war die Begründung des Gerichts für die konkrete Bemessung der Höhe der zu leistenden Zahlungen. Der Klägerin war auf Grundlage des Auskunftsanspruchs des Entgelttransparenzgesetzes die Medianvergütung der Männer auf vergleichbarem Level bekannt sowie auf anderem Wege die konkrete Vergütung eines männlichen Kollegen. Sie forderte die gleiche Vergütung wie der namentlich benannte Kollege und ersatzweise die Medianvergütung der männlichen Vergleichsgruppe.

Das Urteil: Weder noch! Das Landesarbeitsgericht befand, dass aufgrund der Tatsache, dass sich auch die Vergütung der Männer innerhalb der Vergleichsgruppe unterscheidet, diese Unterschiede nicht auf Diskriminierung wegen des Geschlechts beruhen können. Das „Diskriminierungspotenzial“ wäre laut dem Stuttgarter Gericht nur der Unterschied zwischen dem Median der männlichen Vergleichsgruppe und dem Median der weiblichen Vergleichsgruppe. Auf dieser Grundlage wurde im Urteil der Vergütungsanspruch bemessen.

Diese Auslegung hatte Praktikerinnen und Praktiker in den Unternehmen überrascht und gleichermaßen irritiert. Abgesehen von methodischen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit einer Differenz zweier Mediane wäre auch kein Vergütungsanspruch mehr durchzusetzen, wenn der Median der Frauen oberhalb des Medians der Männer liegt. Das dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen.

Was hat das BAG entschieden?

Beide Parteien hatten Revision gegen das Stuttgarter Urteil eingelegt. In nächster Instanz musste somit das Bundesarbeitsgericht entscheiden (8 AZR 300/24).

Im Urteil des BAG wurde dabei ein essenzieller Punkt festgehalten: Der sogenannte „Paarvergleich“, also das Begehren auf die gleiche Vergütung wie ein einzelner benannter vergleichbarer Kollege ist durch Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (C-624/19) und den entsprechenden Vorgaben des primären Unionsrechts (Artikel 157 AEUV) gedeckt. Der Revision wurde stattgegeben und das Verfahren zurück ans Stuttgarter LAG verwiesen.

Das bedeutet konkret: Der Arbeitgeber muss im Zweifel bezogen auf eine einzelne benannte Person darlegen können, warum sie entweder:

  • keine gleichwertige Arbeit verrichtet und daher nicht zum Vergleich herangezogen werden kann ODER
  • die Vergütungsunterschiede auf objektiven geschlechtsneutralen Kriterien beruhen.

Gelingt beides nicht, so ist der klagenden Partei die gleiche Vergütung wie die der Vergleichsperson zu gewähren.

Was bedeutet das für die Praxis?

Was sich im Grundsatz bereits mit den Regelungen der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (EU-Richtlinie 2023/970) angekündigt hat, wird nochmals bestärkt: Die Notwendigkeit für Arbeitgeber einzelne Gehaltsunterschiede nachvollziehbar begründen zu können – und zwar für sämtliche Vergütungsbestandteile.

Kurze Randnotiz aus der mündlichen Verhandlung vor dem BAG: Dort war es beispielsweise unstrittig, dass Bausteine für die betriebliche Altersversorgung als „mittelbares Entgelt“ ebenfalls zu berücksichtigen sind.

Insbesondere Vergütungssysteme, die stark diskretionäre Bonuszahlungen und Gehaltsanpassungen vorsehen, werden damit zur Herausforderung. Gleiches gilt für lückenhafte Dokumentation einzelner Gehaltsbestandteile, wie beispielsweise die in verschiedenen Unternehmen anzutreffenden „historischen Zulagen“.

Vermutet ein Unternehmen mögliche Klagen aus der Belegschaft, für die das Risiko beispielsweise auch im Kontext unbeliebter Restrukturierungsmaßnahmen steigen kann, sollte zeitnah eine Inventur der entsprechenden „Papierspur“ in Sachen Gehaltsfindung vorgenommen werden.

Zwei wesentliche Punkte bleiben aber auch nach der BAG-Entscheidung für die Praxis offen:

  1. Was ist zu tun, wenn der klagenden Partei kein Paarvergleich vorliegt, sondern nur der entsprechende Median bzw. künftig der Durchschnitt der Vergleichsgruppe aus der Entgelttransparenzauskunft? Dort handelt es sich gerade nicht um das Gehalt einer einzelnen Person (im Falle des Medians nicht zwingend).
    Vermutlich ist in diesem Fall zu belegen, warum die klagende Partei „zurecht“ weniger verdient als der Durchschnitt. Die Anforderungen an die Belastbarkeit der vorliegenden Dokumentation bleiben dabei aber die gleichen.
    Andererseits werden mit der Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie Paarvergleiche erleichtert, da nach Artikel 7 Abs. 5 keine Geheimhaltungsklauseln mehr in Sachen Gehältern vereinbart werden dürfen. Es ist also zu erwarten, dass klagende Parteien, ob der Unsicherheit der Bedeutung der Durchschnittsvergütung, regelmäßig versuchen werden zusätzlich ein Paarvergleichsentgelt heranzuziehen.

  2. Die Beantwortung der ohnehin virulenten Frage nach dem Umgang mit Besitzständen bzw. Vertrauensschutz im Kontext der Entgeltgleichheit wird mit der vorliegenden Entscheidung nochmals drängender. Während es mit Blick auf die Bereinigung des Gender Pay Gap und der entsprechenden Erklärung von Gehaltstreibern erprobte Methoden gibt, um Besitzstände adäquat einzupreisen, bleibt offen, wie im individuellen Vergleichsfall mit dieser Thematik umzugehen ist.
    Solange Unternehmen argumentieren, dass Stichtagsregelungen sowie individuelle und kollektive Besitzstände Bestand haben können, verbleibt nur eine „Was wäre, wenn Betrachtung“. Im Rahmen eines Paarvergleichs wäre dabei zu klären: Welches Vergütungsniveau, welche Regelung zur Altersversorgung etc. kommen bei der in Frage stehenden Person unter vergleichbaren Rahmenbedingungen zur Anwendung? Dabei müssten als Grundlagen sowohl der Eintrittszeitpunkt als auch der Werdegang der klagenden Partei berücksichtigt werden. In der Praxis stellt dies ein nicht minder kompliziertes und zeitintensives Verfahren dar, als beispielsweise die angemessene Festlegung einer Betriebsratsvergütung.

Mit Blick auf die anstehenden Gesetzesverschärfungen in Sachen Entgelttransparenz sind wesentliche Fragen weiter nicht oder nur ungenügend beantwortet. Es bleibt die Hoffnung, dass der Gesetzgeber hier im Rahmen der angestrebten bürokratiearmen Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie für mehr Klarheit sorgen wird.

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