Was bei der Festlegung des Rententrends zu beachten ist
21 November 2023
Auch dieses Jahr ist besonderes Augenmerk auf die Bewertungsannahme Rententrend zu legen.
Die Inflation geht langsam zurück. Im Oktober betrug die jährliche Inflationsrate nur noch 3,8 % , nachdem wir im letzten Jahr in der Spitze bei 8,8 % lagen (nach der neuen Basis 2020=100; für die damalige Basis 2015=100 lag der Wert sogar bei 10,4 %). Dennoch werden manche Unternehmen ihre Vorjahresannahmen nach oben anpassen müssen.
Rententrend ist nicht gleich Inflation
Nicht alle laufenden Leistungen sind inflationsabhängig. Bei Zusagen, die ab 1999 erteilt wurden, war und ist es zulässig, anstelle der dreijährlichen Anpassungsprüfungspflicht eine feste Rentenanpassung von 1 % pro Jahr zuzusagen. Für diese Zusagen ist der zu bewertende Rententrend damit bereits fest vorgegeben.
Bei den Zusagen, die der Anpassungsprüfungspflicht unterliegen, wird normalerweise unterstellt, dass der Rententrend der Inflation folgt. Allerdings kann er auch abweichen, z. B. weil ein Unternehmen davon ausgeht, von Zeit zu Zeit eine Anpassung wegen schlechter wirtschaftlicher Lage zu Recht zu unterlassen.
Im Folgenden gehen wir aber davon aus, dass immer die volle Teuerung weitergegeben wird.
Drei Aspekte des Rententrends
Um die Bewertungsannahme Rententrend richtig abbilden zu können, bietet sich eine separate Betrachtung der folgenden drei Aspekte an:
- Der langfristige Rententrend ist die jährliche Rentenerhöhung, die sich in einigen Jahren als Normalzustand ergeben wird.
- Der kurz- bzw. mittelfristige Rententrend ist die jährliche Rentenerhöhung in den Jahren, bis der Normalzustand wieder erreicht wird.
- Der Anpassungsstau ist die ausstehende Anpassung der laufenden Renten auf Basis der bis zum Bilanzstichtag bereits eingetretenen Inflation.
Sehen wir uns diese drei Aspekte nun nacheinander an.
Der langfristige Rententrend
Bei der Festlegung des langfristigen Rententrends bietet sich eine Orientierung am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Dieses beträgt 2 %, ist aber nicht als fester Wert zu verstehen. Abweichungen nach oben oder unten führen nicht sofort zu Maßnahmen der EZB, so dass wir das Ziel eher als Bandbreite, z. B. von 1,9 % bis 2,1 %, verstehen.
Für die Rentenanpassungen in Deutschland orientieren wir uns am Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes, während die EZB die Inflation im gesamten Euroraum im Blick hat. Somit ist auch eine Abweichung des langfristigen Rententrends vom EZB-Inflationsziel denkbar.
Möglich ist auch eine Orientierung an Marktdaten, beispielsweise indem die Rendite von inflationsabhängigen und nominalen Anleihen verglichen wird. Gerade für lange Laufzeiten wird hier aktuell aber eine sehr hohe (nicht exakt bestimmbare) Inflationsrisikoprämie eingerechnet, so dass diese Werte nur eingeschränkt verwendbar sind.
Der kurz- bzw. mittelfristige Rententrend
Kurz- und mittelfristig ist weiterhin mit einer Inflation zu rechnen, die oberhalb der langfristigen Inflation liegt. Diese „Überinflation“ ist in der Bewertung der Pensionsverpflichtungen ebenfalls abzubilden.
Sehen wir uns Expertenprognosen zu den Erwartungen der nächsten Jahre an, so wird deutlich, dass die Überinflation im Vergleich zum Vorjahr deutlich an Gewicht verloren hat.
Beispielhaft betrachten wir die „Gemeinschaftsdiagnose“ . Hierbei handelt es sich um eine gemeinschaftliche Analyse verschiedener Institute im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Darin wird für 2024 eine Inflation von 2,6 % und für 2025 von 1,9 % prognostiziert.
Ausgehend vom langfristigen Rententrend von 2 % wäre also für 2024 eine Überinflation von 0,6 Prozentpunkten und für 2025 sogar eine „Unterinflation“ von 0,1 Prozentpunkten zu verzeichnen, zusammengenommen also 0,5 Prozentpunkte (einmalig, nicht jährlich).
In der Bewertung werden kurz-, mittel- und langfristiger Rententrend üblicherweise in einer einheitlichen Trendannahme zusammengefasst. Werden die gerade erwähnten 0,5 Prozentpunkte auf die gesamte Laufzeit der Renten umgelegt (z. B. indem sie näherungsweise durch die Duration geteilt werden), ergibt sich bei normalen Beständen ein Wert deutlich unterhalb der Rundungsschwelle von 0,1 Prozentpunkten. Die kurz- und mittelfristige Überinflation kann daher vernachlässigt werden.
An Stelle der Expertenprognose können auch hier Marktdaten zu Rate gezogen werden. Bei kurzen Laufzeiten spielt die Inflationsrisikoprämie eine geringere Rolle, so dass die Marktdaten direkt verwendet werden können. Wegen der hohen Volatilität der Marktdaten bieten sich allerdings eher Expertenprognosen als Basis an.
Der Anpassungsstau
Da der Turnus der Anpassungsprüfungspflicht mit drei Jahren sehr lang ist, spielt die am Bilanzstichtag aufgelaufene Inflation, die sich erst in der Zukunft in Rentenanpassungen niederschlagen wird, eine bedeutsame Rolle.
Für laufende Leistungen, die beispielsweise im Juli 2024 anzupassen sind, steht der größte Teil der zu berücksichtigenden Inflation am Bilanzstichtag bereits fest, nämlich die Preissteigerung von Juni 2021 (Vormonat der letzten Anpassung) bis Dezember 2023 (Monat des Bilanzstichtags). Das werden voraussichtlich um die 15 % sein.
(Anmerkung: Diese Sichtweise vereinfacht den tatsächlichen Sachverhalt, weil bei der tatsächlichen Anpassung immer die gesamte Rentenbezugszeit zu berücksichtigen ist. Für den Zweck des Jahresabschlusses ist die Genauigkeit der Betrachtung aber ausreichend.)
Im konkreten Bestand sind die tatsächlichen Anpassungsstichtage (meist 01.01. oder 01.07.) und die Verteilung auf verschiedene Anpassungsjahre (nächste Anpassung 2024, 2025 oder 2026) zu berücksichtigen. Bei einer gleichmäßigen Verteilung der laufenden Leistungen auf die Anpassungsjahre dürfte der Anpassungsstau zum 31.12.2023 in der Regel zwischen 8 % und 12 % liegen.
Dieser Anpassungsstau kann in Form einer rechnerischen Einmalerhöhung berücksichtigt oder durch Verteilung auf die Laufzeit der Renten auf den jährlichen Rententrend aufgeschlagen werden. Der Zuschlag in der zweiten Variante kann wiederum nur für den Bestand der laufenden Leistungen oder für den gesamten Bestand berechnet werden.
Hierbei ist aber zu beachten, dass sich Folgeprobleme ergeben können, beispielsweise bei der korrekten Aufteilung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, bei der Berechnung von Sondergrößen wie Past Service Cost oder bei Berechnungen zum Versorgungsausgleich.
Der Anpassungsstau ist der Hauptgrund, weshalb dieses Jahr die Bewertungsprämisse Rententrend noch einmal besonders sorgfältig betrachtet werden muss. Viele Unternehmen haben den Anpassungsstau im letzten Jahr nicht ausreichend abgebildet. Mittlerweile sind die Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer aber viel stärker für das Thema sensibilisiert.
Stetigkeit
Ein einmal gewähltes Verfahren ist grundsätzlich in den Folgejahren beizubehalten. Eine Durchbrechung der Stetigkeit bedarf eines sachlichen Grundes. Das gilt sowohl im Konzernabschluss nach IFRS als auch im HGB-Einzelabschluss.
In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen kein genau beschriebenes Verfahren angewendet. Oftmals reichte eine kurze Begründung, warum der Vorjahreswert beibehalten oder abgeändert wurde.
Aufgrund der erhöhten Inflation der letzten Jahre und der damit verbundenen Diskussionen im Rahmen des Jahresabschlusses wurden und werden die Begründungen detaillierter. Damit erfolgt auch eine Bindung für spätere Jahresabschlüsse. Daher sollten Entscheidungen (beispielsweise ob der Anpassungsstau als Einmalerhöhung oder als Zuschlag zum Rententrend bewertet wird) sorgfältig getroffen werden.