Nachhaltigkeitsregulatorik HR Strategie
Regulatorik zu Nachhaltigkeit als strategische Steilvorlage für HR
Herr Baierl, Herr Stachurski, wie haben Sie das Schreiben der Bundesregierung an die EU-Kommission vom Dezember 2024 mit dem Appell für eine Reform der Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der CSRD gelesen?
Welche Konsequenzen sehen Sie?
Damit ist der formelle Reporting-Druck für alle Unternehmen zunächst erst einmal raus – zumindest in Nachhaltigkeitsaspekten?
Oliver Baierl: Ja, formal ist das so. Aber viele Unternehmen, insbesondere jene, die zeitnah berichten hätten müssen, haben die entsprechenden Prozesse schon gestartet bzw. weitgehend implementiert und werden vermutlich dennoch freiwillig nach ESRS berichten – schlicht aus Gründen der Effizienz. Auch ist es für viele eine Art Trockenlauf, der so oder so der Fall gewesen wäre, nun mit weniger erwartbaren Ermahnungen seitens der Wirtschaftsprüfer und der interessierten Öffentlichkeit bei eventuellen Abweichungen bzw. Lücken.
Tomasz Stachurski: Viele Unternehmen hatten auf eine Herausbildung von Best Practice im neuen Nachhaltigkeitsreporting durch die großen börsennotierten Gesellschaften gehofft, um dann selbst im kommenden Jahr für das entsprechende Reporting gewappnet zu sein. Diese Best Practice Ausprägung wird nun begrenzter stattfinden bzw. man wird sich zusätzlich am europäischen Ausland mit pünktlicher CSRD-Umsetzung, z.B. in Frankreich, orientieren müssen.
Ist denn die Belastung für das Nachhaltigkeitsreporting entlang der CSRD tatsächlich so hoch, wie die Bundesregierung reklamiert?
Das klingt aufwändig!
Das heißt konkret…
Tomasz Stachurski: Nehmen Sie das gern und häufig zitierte Beispiel des CO2-Ausstoßes: Diese Kennzahl ist als externer Nachhaltigkeitsfaktor für Telekommunikationsunternehmen wahrscheinlich weniger materiell schlagend als für einen Stahlproduzenten. Oder Kinderarbeit in einem Entwicklungsland ist für ein Unternehmen mit rein europäischem Wirkungsraum nicht so entscheidend wie für einen globalen Produzenten von Konsumgütern. Entsprechend sollte bzw. muss die Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgerichtet sein.
Oliver Baierl: Es geht darum, die wesentlichen Faktoren zu erkennen und so die Arbeit mit Feigenblättern in der Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen zu verhindern.
Kurz noch ein Blick auf die andere Seite der doppelten Wesentlichkeitsanalyse: Diese fokussiert dann neben den externen Faktoren die interne Sicht auf relevante Nachhaltigkeitstreiber?
Alles in allem ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung also mit erheblichem Aufwand für Unternehmen verbunden?
Tomasz Stachurski: Wir sehen wirklich hohe Anforderungen in der Quantität wie auch Qualität der Berichterstattung. So ist nicht für alle Themenfelder und Kenngrößen die engere Definition klar, d.h. Unternehmen müssen sich auch noch überlegen, was im Ergebnis der doppelten Wesentlichkeitsanalyse im Einzelfall genau zu berichten ist und wie die entsprechenden regulatorischen Anforderung auslegt werden sollten. Der Appell der Bundesregierung kommt ja nicht von ungefähr. Er hat durchaus seine Berechtigung!
Oliver Baierl: Um es greifbarer zu machen: Allein für die ESRS als der auf die eigene Belegschaft fokussierte Teil der CSRD sind potenziell mehr als 1.000 Einzeldatenpunkte zu ermitteln und dann zu berichten, und das Konzernübergreifend. Das macht kein Unternehmen nebenbei. Auch die Ermittlung der Kennzahlen ist nicht immer eindeutig geregelt. Im entsprechenden Frage- und Antwort-Portal auf europäischer Ebene sind noch über 300 offene Fragen zur Auslegung der ESRS zu finden.
Dann ist der Appell der Bundesregierung in Richtung Reduzierung der Kennzahlen und Vereinfachung der Berichterstattung in puncto Nachhaltigkeit angebracht?
Tomasz Stachurski: Einer der Vorschläge der Bundesregierung ist es, die Anzahl der zu berichtenden Datenelemente zu verringern und sich dabei am Entwurf die kapitalmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen, zu orientieren. Das würde natürlich Erleichterungen nach sich ziehen.
Oliver Baierl: Allerdings wäre mit dem Appell der Bundesregierung bezogen auf die auf die eigene Belegschaft abzielenden Vorgaben (S1 - Own Workforce) keine wesentliche inhaltliche Erleichterung zu erwarten. Unternehmen hätten zwar etwas mehr Zeit, sich entsprechend vorzubereiten, die Reporting-Verpflichtung und damit die inhaltlichen Unsicherheiten zur Interpretation und der Aufwand würden aber bleiben.
Wie werden sich die Unternehmen angesichts der Verzögerungen bei der CSRD-Umsetzung verhalten?
Oliver Baierl: Auch wenn wir verschiedene Unternehmen in der Frage der doppelten Wesentlichkeitsanalyse wie des Nachhaltigkeitsreporting begleiten: Eine wirkliche Marktpraxis oder Best Practice liegt da noch nicht vor. Im Moment kämpfen viele Unternehmen hier ihren eigenen Kampf. Aber das ist auch gut so, weil Nachhaltigkeit – abgesehen von einzelnen generellen Faktoren – immer ein hoch unternehmens- oder zumindest branchenspezifisches Thema ist.
Tomasz Stachurski: Entscheidend ist auch, wie schnell mit einer Reaktion der Europäischen Kommission auf den Appell der Bundesregierung zu rechnen ist. Es gibt in der Regel zwei Gruppen von Unternehmen: die, die voranpreschen und alles vorbildlich machen wollen und die, die so lang wie möglich abwarten, um wirklich nur das Notwendige zu tun – das wird auch in diesem Fall so sein.
Was wäre Ihre Empfehlung?
Oliver Baierl: Wir würden raten, bei den komplexen Themen rechtzeitig mit der Vorbereitung anzufangen – egal, in welchen Details sich die existierenden Regelungen noch verändern. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse von Nachhaltigkeitsfaktoren ist so oder vorzunehmen. Es mag im Fortschreiten des politischen Reifeprozesses noch Änderungen im Detail geben, aber das Thema Nachhaltigkeit wird nicht von der Agenda verschwinden.
Tomasz Stachurski: Nachhaltigkeit ist zu einem essenziellen Bestandteil der Unternehmensstrategie geworden. Es geht jetzt um das „Wie“ und „Wann“ der Auseinandersetzung damit.
Was bedeutet das in letzter Konsequenz für die HR-Funktion?
Vielen Dank für das Gespräch!
Workforce Products Leader Austria & Germany
Mercer Strategic People Advisor