Nachhaltigkeitsregulatorik HR Strategie 

Regulatorik zu Nachhaltigkeit als strategische Steilvorlage für HR

Die Deutsche Bundesregierung hat Im Dezember 2024 die EU-Kommission dazu aufgefordert, unter anderem die erstmalige CSRD-Berichtspflicht für große, aber nicht börsennotierte Unternehmen um zwei Jahre zu verschieben. Hauptargument ist die Reduktion von bürokratischem Aufwand und eine generelle Entlastung von Unternehmen. Eine Einordnung durch die Mercer Strategic People Advisors Oliver Baierl und Dr. Tomasz Stachurski.

Herr Baierl, Herr Stachurski, wie haben Sie das Schreiben der Bundesregierung an die EU-Kommission vom Dezember 2024 mit dem Appell für eine Reform der Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der CSRD gelesen? 

Tomasz Stachurski: Spätestens mit Ablauf der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestags im Dezember 2024 war klar, dass es kein pünktliches Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung analog zur europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in deutsches Recht geben wird. Mit ihrer Forderung an die EU nach einer Reform der CSRD speziell für die großen, nicht-börsennotierten Unternehmen ist die Bundesregierung in die Offensive gegangen – allerdings sehr spät, wenn man bedenkt, dass die CSRD Richtlinie aus 2022 und der korrespondierende Reportingstandard ESRS aus 2023 ist. Wir sind offensichtlich im Wahlkampf angekommen.

Welche Konsequenzen sehen Sie?

Oliver Baierl: Da Deutschland die CSRD-Umsetzung in nationales Recht nicht realisieren konnte, besteht für das Geschäftsjahr 2024 de facto keine Berichtspflicht nach ESRS. Damit würde nach aktueller CSRD-Fassung das erstmalige Reporting für die großen börsennotierten Unternehmen mit den großen nicht börsennotierten Unternehmen zusammenfallen, sprich in 2026 für das Geschäftsjahr 2025. 

Damit ist der formelle Reporting-Druck für alle Unternehmen zunächst erst einmal raus – zumindest in Nachhaltigkeitsaspekten?

Oliver Baierl: Ja, formal ist das so. Aber viele Unternehmen, insbesondere jene, die zeitnah berichten hätten müssen, haben die entsprechenden Prozesse schon gestartet bzw. weitgehend implementiert und werden vermutlich dennoch freiwillig nach ESRS berichten – schlicht aus Gründen der Effizienz. Auch ist es für viele eine Art Trockenlauf, der so oder so der Fall gewesen wäre, nun mit weniger erwartbaren Ermahnungen seitens der Wirtschaftsprüfer und der interessierten Öffentlichkeit bei eventuellen Abweichungen bzw. Lücken.

Tomasz Stachurski: Viele Unternehmen hatten auf eine Herausbildung von Best Practice im neuen Nachhaltigkeitsreporting durch die großen börsennotierten Gesellschaften gehofft, um dann selbst im kommenden Jahr für das entsprechende Reporting gewappnet zu sein. Diese Best Practice Ausprägung wird nun begrenzter stattfinden bzw. man wird sich zusätzlich am europäischen Ausland mit pünktlicher CSRD-Umsetzung, z.B. in Frankreich, orientieren müssen.

Ist denn die Belastung für das Nachhaltigkeitsreporting entlang der CSRD tatsächlich so hoch, wie die Bundesregierung reklamiert?

Oliver Baierl: Der Aufwand in der Vorbereitung und schließlich im Reporting selbst sollte nicht unterschätzt werden. Zunächst gilt es, die für das eigene Geschäftsmodell bzw. Unternehmen relevanten Kennzahlen zu identifizieren. Stichwort hier ist die doppelte Wesentlichkeitsanalyse.

Das klingt aufwändig!

Tomasz Stachurski: Dem ist auch so. Hinter dem Begriff der doppelten Wesentlichkeitsanalyse verbirgt sich die Analyse der intern wie extern wesentlichen bzw. relevanten Nachhaltigkeitskenngrößen. 

Das heißt konkret…

Tomasz Stachurski: Nehmen Sie das gern und häufig zitierte Beispiel des CO2-Ausstoßes: Diese Kennzahl ist als externer Nachhaltigkeitsfaktor für Telekommunikationsunternehmen wahrscheinlich weniger materiell schlagend als für einen Stahlproduzenten. Oder Kinderarbeit in einem Entwicklungsland ist für ein Unternehmen mit rein europäischem Wirkungsraum nicht so entscheidend wie für einen globalen Produzenten von Konsumgütern. Entsprechend sollte bzw. muss die Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgerichtet sein.

Oliver Baierl: Es geht darum, die wesentlichen Faktoren zu erkennen und so die Arbeit mit Feigenblättern in der Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen zu verhindern. 

Kurz noch ein Blick auf die andere Seite der doppelten Wesentlichkeitsanalyse: Diese fokussiert dann neben den externen Faktoren die interne Sicht auf relevante Nachhaltigkeitstreiber?

Oliver Baierl: Genau, sie richtet sich insbesondere auf die eigene Belegschaft und hier insbesondere die Fragen von diskriminierungsfreien Prozessen – von der Nachfolgeplanung bis hin zu Vergütung. Pay Equity ist hier eine immer wieder zitierte Kenngröße. Aber Nachhaltigkeit ist eben mehr als nur die Eliminierung von geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden. 

Alles in allem ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung also mit erheblichem Aufwand für Unternehmen verbunden?

Tomasz Stachurski: Wir sehen wirklich hohe Anforderungen in der Quantität wie auch Qualität der Berichterstattung. So ist nicht für alle Themenfelder und Kenngrößen die engere Definition klar, d.h. Unternehmen müssen sich auch noch überlegen, was im Ergebnis der doppelten Wesentlichkeitsanalyse im Einzelfall genau zu berichten ist und wie die entsprechenden regulatorischen Anforderung auslegt werden sollten. Der Appell der Bundesregierung kommt ja nicht von ungefähr. Er hat durchaus seine Berechtigung!

Oliver Baierl: Um es greifbarer zu machen: Allein für die ESRS als der auf die eigene Belegschaft fokussierte Teil der CSRD sind potenziell mehr als 1.000 Einzeldatenpunkte zu ermitteln und dann zu berichten, und das Konzernübergreifend. Das macht kein Unternehmen nebenbei. Auch die Ermittlung der Kennzahlen ist nicht immer eindeutig geregelt. Im entsprechenden Frage- und Antwort-Portal auf europäischer Ebene sind noch über 300 offene Fragen zur Auslegung der ESRS zu finden.

Dann ist der Appell der Bundesregierung in Richtung Reduzierung der Kennzahlen und Vereinfachung der Berichterstattung in puncto Nachhaltigkeit angebracht?

Tomasz Stachurski: Einer der Vorschläge der Bundesregierung ist es, die Anzahl der zu berichtenden Datenelemente zu verringern und sich dabei am Entwurf die kapitalmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen, zu orientieren. Das würde natürlich Erleichterungen nach sich ziehen.

Oliver Baierl: Allerdings wäre mit dem Appell der Bundesregierung bezogen auf die auf die eigene Belegschaft abzielenden Vorgaben (S1 - Own Workforce) keine wesentliche inhaltliche Erleichterung zu erwarten. Unternehmen hätten zwar etwas mehr Zeit, sich entsprechend vorzubereiten, die Reporting-Verpflichtung und damit die inhaltlichen Unsicherheiten zur Interpretation und der Aufwand würden aber bleiben.

Wie werden sich die Unternehmen angesichts der Verzögerungen bei der CSRD-Umsetzung verhalten? 

Oliver Baierl: Auch wenn wir verschiedene Unternehmen in der Frage der doppelten Wesentlichkeitsanalyse wie des Nachhaltigkeitsreporting begleiten: Eine wirkliche Marktpraxis oder Best Practice liegt da noch nicht vor. Im Moment kämpfen viele Unternehmen hier ihren eigenen Kampf. Aber das ist auch gut so, weil Nachhaltigkeit – abgesehen von einzelnen generellen Faktoren – immer ein hoch unternehmens- oder zumindest branchenspezifisches Thema ist.

Tomasz Stachurski: Entscheidend ist auch, wie schnell mit einer Reaktion der Europäischen Kommission auf den Appell der Bundesregierung zu rechnen ist. Es gibt in der Regel zwei Gruppen von Unternehmen: die, die voranpreschen und alles vorbildlich machen wollen und die, die so lang wie möglich abwarten, um wirklich nur das Notwendige zu tun – das wird auch in diesem Fall so sein.

Was wäre Ihre Empfehlung?

Oliver Baierl: Wir würden raten, bei den komplexen Themen rechtzeitig mit der Vorbereitung anzufangen –  egal, in welchen Details sich die existierenden Regelungen noch verändern. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse von Nachhaltigkeitsfaktoren ist so oder vorzunehmen. Es mag im Fortschreiten des politischen Reifeprozesses noch Änderungen im Detail geben, aber das Thema Nachhaltigkeit wird nicht von der Agenda verschwinden.

Tomasz Stachurski: Nachhaltigkeit ist zu einem essenziellen Bestandteil der Unternehmensstrategie geworden. Es geht jetzt um das „Wie“ und „Wann“ der Auseinandersetzung damit. 

Was bedeutet das in letzter Konsequenz für die HR-Funktion?

Oliver Baierl: Es geht darum, Nachhaltigkeit im Employee Life Cycle zu verankern. Das ist leichter gesagt als getan und eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, mit der sich HR aber als maßgeblicher Player auf strategischer Ebene positioniert. Denn eines ist klar: Die aktuelle Transformation von Geschäftsmodellen und Unternehmen ist ohne Nachhaltigkeit nicht zu bewältigen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Über den/die Autor:in(nen)
Thomasz Stachurski

Workforce Products Leader Austria & Germany

Oliver Baierl

Mercer Strategic People Advisor

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