HR-Strategien für verschobene Börsengänge: IPO-Readiness
07 April 2025
In den letzten Monaten haben zahlreiche Unternehmen ihre geplanten Börsengänge (IPOs) oder auch alternative Kapitalmarktmaßnahmen abgesagt oder zumindest verschoben.
Was bedeutet dies für die in der Vorbereitung bereits getätigten Investitionen in eine entsprechend aufgestellt HR-Management-Landschaft, welche Maßnahmen zählen zu einem IPO-Readiness-Programm und wie kann ein Unternehmen selbst bei einer Absage von diesen Programmen profitieren. Ein Gespräch mit den Mercer Strategic People Advisory Experten David Voggeser und Niklas Fuß
Herr Voggeser, Herr Fuß, was sind die Hintergründe für die zahlreichen Absagen von Börsengängen, kürzlich beispielsweise der IPO von Stada?
David Voggeser: Als wesentliche Gründe für die Verschiebung von Kapitalmarktmaßnahmen geben die Unternehmen in der überwiegenden Mehrzahl geopolitische Spannungen, hohe Inflation, starke Zinserhöhungen und eine erhöhte Marktvolatilität an – alles Gründe, die Investoren unsicher machen und die Aussicht auf eine erfolgreiche Umsetzung schwinden lassen.
Niklas Fuß: Die Entscheidung für oder gegen einen Börsengang stark von den aktuellen Marktbedingungen abhängig, aber auch von den spezifischen Unternehmenssituationen. So gibt trotz der skizzierten düsteren Marktsignale auch erfolgreiche Emissionen, u.a. vom Wissenschaftsverlag Springer Nature oder dem Biotech-Unternehmen Pentixapharm, die in 2024 günstige Zeitfenster für erfolgreichen Börsengänge nutzten. Und aktuell stehen die Marinesparte von thyssenkrupp oder das Medizintechnikunternehmen Ottobock mit ihren IPO-Plänen im Blickpunkt der Finanzszene.
Sie betreuten bereits seit Jahren Unternehmen und speziell deren Personalabteilungen in der Vorbereitung auf den Börsengang und anderen Kapitalmarktaktivitäten. Was sind die generellen Themenfelder, die Unternehmen hier berücksichtigen müssen?
David Voggeser: Bei Börsengängen, Carve-out etc. schauen alle immer zuerst auf die finanziellen Rahmenbedingungen und Herausforderungen. Aber
derartige Aktivitäten an den Kapitalmärkten sind bei weitem nicht nur eine finanzielle und strategische Entscheidung, sondern haben auch erhebliche Auswirkungen auf Personalfragen. Das Spektrum schließt hier einerseits Maßnahmen mit Blick auf die Führungsebene ein, sprich die Bildung eines kompletten und kompetent besetzten Management-Teams, inklusive des Aufsichtsrats, mit entsprechenden Incentivierungsstrukturen und einer professionellen Nachfolgeplanung, umfasst aber auch den großen Komplex der für die breite Belegschaft relevanten Themen.
Welche Themen sind für die letztgenannte Gruppe relevant?
Niklas Fuß: Denken Sie an Aktien- oder sonstige Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, die generelle Anpassung der Vergütungselemente und -strukturen an ein stärker KPI- und kapitalmarktorientiertes System. Der Wandel von einem privat geführten zu einem börsennotierten Unternehmen bringt in der Regel eine stärkere Leistungs- und Compliance-Kultur mit sich. Das muss auch kommunikativ begleitet werden.
David Voggeser: … womit wir auch bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung sind. Ein IPO kann zu Abwerbeversuchen durch andere Marktteilnehmer führen, weshalb auch gezielte Programme in den Themenfeldern Employer Branding und Retention zu implementieren sind.
Braucht es nicht auch umfassende Compliance & HR-Regelungen?
David Voggeser: Die repräsentieren in der Tat einen großen Arbeitsbereich und wir bewegen uns hier vielfach an Schnittstellen zu anderen Funktionsbereichen im Unternehmen wie Compliance und Investor Relations. Denken Sie speziell an die Einhaltung besonderer regulatorischer Anforderungen für börsennotierte Unternehmen in puncto Transparenz, Insiderregelungen, Finanzberichterstattung etc.
Diese Maßnahmen lassen sich nicht kurzfristig konzeptionieren und umsetzen. Mit welchem Vorlauf müssen Unternehmen in der Frage der HR-spezifischen Aufgabenfelder planen?
David Voggeser: Das ist ein abgestufter Prozess, der in Abhängigkeit von der Konkretheit der entsprechenden Pläne steht. Von der absoluten Geheimhaltung auf oberster Ebene bis hin zur breiteren Kommunikation im Management- und später in den breiteren Belegschaftskreis hinein werden die verschiedensten Maßnahmen und Informationen relevant. Verzögerungen sind hier an der Tagesordnung, erst recht in so dynamischen, volatilen Zeiten wie heute.
Niklas Fuß: Aber um die Grundzüge der personalspezifischen Maßnahmen vorbereiten zu können und bereit für die Implementierung zu sein, sollten Unternehmen mit rund einem Dreivierteljahr Vorlauf rechnen. Wir haben auch schon Projekte mit deutlich kürzerem Vorlauf übernommen, was allerdings grundlegende strategische Überlegungen verkürzt und häufig eher zu einem minimalistischen Ansatz mit wenig Raum für holistische Überlegungen und Lösungen führt. Zudem: bestimmte Aufgaben lassen sich auch nicht beliebig durch eine Aufstockung des Berater-Teams beschleunigen.
Können oder sollten sich Unternehmen denn unabhängig von konkreten Börsenplänen schon entsprechend kapitalmarktfähig aufstellen?
David Voggeser: In einer idealen Welt würde ich sofort sagen: unbedingt! Aber das Management von Unternehmen ist ja auch ohne Börsenpläne in der Regel gut ausgelastet. Hier ohne tragfähige Perspektive ein IPO-Readiness-Programm aufzulegen, stellt eine signifikante Herausforderung für Unternehmen dar.
Niklas Fuß: Dessen ungeachtet nehmen viele Unternehmen derartige Anstrengungen auf sich. Im Sinne einer Good Corporate Governance können sich auch noch nicht börsennotierte Unternehmen vieles von gelisteten Unternehmen abschauen – gerade ein
kritischer Blick auf die herrschenden HR-Prozesse und der Abgleich mit marktüblichen Strukturen kann häufig einen erheblichen Wertbeitrag von HR zur grundlegenden Transformation des Unternehmens bieten.
Und wenn sich ein IPO verschiebt oder dieser gar komplett abgesagt wird? War dann alles umsonst?
David Voggeser: Wie gesagt, Verschiebungen aufgrund von Markteinflüssen sind die Regel. Unser IPO-Projektmanagement kalkuliert diese bereits mit ein, ohne dass sich schon konkrete Zwischenfälle absehen lassen. Dafür haben wir eingespielte Routinen, die aber einen nicht davor bewahren, dass es auch mal ordentlich quietschen kann im Verlauf eines Projekts. In jedem Fall sollte dafür gesorgt sein, dass die erreichten Meilensteine gut dokumentiert sind, begonnene Prozesse möglichst zu einem guten Zwischenstand geführt und bei Wiederaufnahme effizient weitergeführt werden können.
Niklas Fuß: Und um den Aspekt der Absage eines Börsengangs aufzugreifen: Nein, auch dann sind die in der Vorbereitung getroffenen Maßnahmen nicht umsonst. Die im Rahmen eines IPO-Readiness-Programms umgesetzten Maßnahmen bringen das Unternehmen in seiner professionellen Aufstellung weiter. Das sind in der Regel sinnvolle Investitionen in die Zukunft!
Herr Voggeser, Herr Fuß, vielen Dank für das Gespräch!
Principal, Mercer
Partner Strategic People Advisory