Fachkräftemangel in Deutschland: Ursachen und Lösungsansätze 

15 Mai 2025

Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften als Chance für Wandel

Der Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland bleibt 2025 ein drängendes Problem. Hauptsächliche Ursachen sind der demografische Wandel, unzureichende Zuwanderung und Integration qualifizierter Arbeitskräfte sowie ein Aus- und Weiterbildungssystem alter Schule. Trotz politischer Maßnahmen bleibt die Lücke groß. Ein Gespräch mit dem renommierten Volkswirtschaftler und Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik & Befragungen, Prof. Dr. Andreas Peichl, und dem Mercer-Partner und HR-Management-Experten Michael Eger zu Herausforderungen und Lösungsansätzen.

Herr Professor Peichl, Herr Eger, wo genau liegen die Ursachen für den dramatischen Arbeits- und Fachkräftemangel in unserer Gesellschaft?

Andreas Peichl: Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften resultiert aus einer Kombination vieler Faktoren, die sich über die Jahre entwickelt haben. Zum einen sehen wir eine demografische Verschiebung. Die Bevölkerung altert und weniger junge Menschen treten in den Arbeitsmarkt ein. So verabschieden sich die Baby Boomer aktuell in immer größeren Kohorten in den Ruhestand. Jedes Jahr gehen dem Arbeitsmarkt so bis zu 400.000 Arbeitskräfte verloren-

… was durch die nachfolgenden Jahrgänge nicht annähernd kompensiert werden kann.

Andreas Peichl: Genau so ist es. Hinzu kommt ein Kompetenzdefizit infolge der technologischen Entwicklung und Digitalisierung. Die schrumpfende Basis an arbeitsfähigen Männern und Frauen kann gar nicht schnell genug aus- und weitergebildet werden, so dass wir gerade bei speziellen Kompetenzen eine drastische Kluft zwischen Nachfrage und Angebot im Arbeitsmarkt sehen.

Michael Eger: Ebenfalls eine Rolle spielt, dass junge, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihrer Mobilität teilweise bessere Bedingungen im Ausland sehen und diese nutzen. Selbst Marken-starke Arbeitgeber sind mehr denn je damit konfrontiert, erfolgskritische Talente zu halten. Gerade in Phasen der Personalreduzierung wird zusätzlich relevant, dass die richtigen Mitarbeitenden gehalten werden müssen. 

Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften resultiert aus einer Kombination vieler Faktoren, die sich über die Jahre entwickelt haben. Dazu zählen Demographie, Digitalisierung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
Prof. Dr. Andreas Peichl (Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik & Befragungen)

Welche Industrien oder Geschäftsfelder sind besonders betroffen?

Andreas Peichl: Besonders betroffen sind das Gesundheitswesen, die Informationstechnologie, das Ingenieurwesen und das Handwerk. Im Gesundheitswesen gibt es beispielsweise einen enormen Bedarf an Pflegekräften und Ärzten, während gleichzeitig viele Fachkräfte in den Ruhestand gehen. In der IT-Branche ist die Nachfrage nach Software-Entwicklern, -Ingenieuren und Datenanalysten explodiert, während die Ausbildungsstätten oft nicht in der Lage sind, genügend qualifizierte Absolventen hervorzubringen.

Michael Eger: Unsere Beratungspraxis bestätigt das. Wir sehen uns nicht nur mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, sondern haben auch abseits fachlicher

Spezialthemen einen Bedarf an Arbeitskräften, der durch das

verfügbare Angebot nicht gedeckt ist. Und das gilt tatsächlich industrieübergreifend. Selbst in der aktuell etwas schwierigeren Phase gibt es Industrien, die massiv einstellen. Und auch bei Unternehmen in der Transformation fehlen häufig bestimmte Qualifikationen.

Mit Blick auf die Vernetzung der Weltmärkt dürfte dies kein rein deutsches Phänomen sein?

Andreas Peichl: Nein, in vielen europäischen Ländern hat der Arbeitskräftemangel ebenfalls deutlich zugenommen. Deutschland steht hier etwas schlechter als der EU-Durchschnitt, insbesondere die osteuropäischen Volkswirtschaften sehen sich mit drastischeren Situationen konfrontiert. Italien oder Frankreich stehen dagegen besser als Deutschland da.

Die aktuellen politischen Entwicklungen dürften aber für Entspannung sorgen?

Andreas Peichl: Durch die wirtschaftliche Stagnation zeichnet sich in der Tat eine leichte Entspannung ab. Aber das grundsätzliche demographische Problem wie auch die generelle Dynamik in der IT- und Technologie-Branche verschwinden damit nicht.

Welche Lösungen sehen Sie?

Michael Eger: Wir haben es mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun, das auch so angegangen werden muss. Unternehmen können hier einen wesentlichen Beitrag leisten, können aber die Probleme nicht allein lösen.

Lassen Sie uns bei den Möglichkeiten der Politik beginnen.

Andreas Peichl: Es braucht zu allererst eine grundlegend verbesserte Integration von Flüchtlingen und Migranten in den Arbeitsmarkt. Das erfolgt bei uns schlechter als in vielen Nachbarländern. Hintergrund sind neben der Anforderung an Sprache und Ausbildung oft ausufernde und komplizierte Prozeduren in der Anerkennung von Qualifikationen und Erfahrungen. Politik muss Sorge dafür tragen, dass dies zügiger und einfacher vonstatten geht.

Michael Eger: Viele Arbeitgeber leisten hier vielfach schon einen signifikanten Eigenbeitrag, indem Lehr und Qualifizierungsprogramme speziell für Migranten aufgelegt werden. Aber wenn diese begleitet werden von einer hohen

Unsicherheit beim Aufenthaltstitel für die betreffenden Personen, dann ist das kontraproduktiv.

Und wenn wir auf die einheimische Arbeitskräftebasis schauen?

Andreas Peichl: Im Bemühen die sozialen Standards zu erhöhen, haben sich in den vergangenen Jahren Rahmenbedingungen entwickelt, die so heute nicht mehr tragbar bzw. finanzbierbar sind.

Woran denken Sie konkret?

Andreas Peichl: Denken Sie an die Absenkungen des Renteneintrittsalters oder auf betrieblicher Ebene an Programme zur Frühverrentung von Mitarbeitenden. Wir berauben uns damit eines wesentlichen, in vielen Berufsbildern noch hoch leistungsfähigen Arbeitskräftereservoirs, das auch aufgrund steuerlicher Regelungen nicht motiviert wird, Know-how und Erfahrung dem Arbeitsmarkt weiter bereitzustellen. Auch die steuerlich vorteilhafte Behandlung von Teilzeit-Arbeit spielt hier hinein. 

Michael Eger: Vergessen wir nicht das enorme Potenzial von Frauen, die im Zuge der Mutterschaft vielfach ungewollt in Teilzeit arbeiten müssen, weil die Betreuung von Kindern nicht gegeben ist.

Andreas Peichl: Ein weiterer Hebel ist das bessere Matching von Arbeitgeber-Anforderungen und Arbeitnehmer-Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt. Die Angebote im Aus- und Weiterbildungsbereich sind bei uns im europäischen Vergleich eher unterdurchschnittlich. Hier kann und muss die Politik Impulse setzen. Auch stellt sich die Frage einer attraktiveren Vergütung. 

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Wie können Unternehmen in der Bewältigung des Arbeits- und Fachkräftemangels vorgehen?

Michael Eger: Zunächst ist es für Unternehmen entscheidend, zu verstehen, in welchen Bereichen ein Mangel aktuell besteht oder droht – und wie sich die Bedarfe verändern.

Es geht also um eine strategische Sicht auf Personalplanung...

Michael Eger: Durch die generelle Transformation in vielen Branchen und vor allem auch durch den verstärkten Einsatz von KI verschieben sich aktuell Anforderungen sehr schnell. Es empfiehlt sich für Unternehmen, im Rahmen dieser strategischen Personalplanung in „Skills“-Kategorien zu denken - also in benötigten Qualifikationen und Fähigkeiten – und nicht in bestimmten Berufsgruppen. Unternehmen müssen verstehen, welche Skills gebraucht werden, intern vorhanden sind und welche entwickelt werden müssen. Nur so ist es möglich, gezielt in Recruiting, Weiterbildung oder auch externe Arbeitskräfte zu investieren.

Andreas Peichl: Wie der Staat sollten auch Unternehmen in die kontinuierliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren, um deren Fähigkeiten an die sich verändernden Anforderungen anzupassen. Was wir mit Blick auf den Unternehmensalltag diskutieren gilt nämlich genauso für Angestellte im öffentlichen Dienst und das Beamtenwesen.

Michael Eger: Ob nun öffentlicher Dienst oder Unternehmen, wichtig ist, das Zusammenspiel vor allem zwischen Planung, Recruiting, Com&Ben und Personalentwicklung zu verbessern. In vielen Organisationen sind das Silos, die nur wenig miteinander sprechen. Wenn dann klar ist, welche Bereiche zukünftig besonders wichtig sind, sollte gezielt in Gewinnung, Bindung und Entwicklung investiert werden, ebenso in die Entwicklung einer die neuen Anforderungen tragenden Führungs- und Unternehmenskultur. 

“Durch die generelle Transformation in vielen Branchen wie auch den verstärkten Einsatz von KI verschieben sich aktuell Anforderungen sehr schnell. Unternehmen müssen verstehen, welche Skills gebraucht werden, vorhanden sind und welche entwickelt werden müssen.” 
Michael Eger (Partner, Consulting Lead Talent Attraction, Recruiting & Retention Europe Mercer)

Wie blicken Sie im Kontext des Fachkräftemangels auf Themen wie Home-Office und flexible Arbeitszeitmodelle?

Andreas Peichl: Corona hat in puncto Flexibilität von Arbeitsmodellen vieles Normalität werden lassen. Die Crux ist nur, dass sich vieles nur für Verwaltungen, Headquarters etc. realisieren lässt. Damit kommt nur eine Minderheit der Arbeitskräftebasis in den Genuss entsprechender Regelungen. Verkäufer, Service-Techniker, Krankenpfleger, Lehrer, Ärzte, Arbeitende am Fließband etc. sind weiterhin vor Ort gefragt.

Michael Eger: Aber flexible Arbeitsmodelle können durchaus helfen, die Attraktivität von Jobs zu erhöhen. Vielfach sind sie auch eine Kompensation von Vergütung. Wo möglich, sollten entsprechende Arbeitsmodelle implementiert und kontinuierlich weiter gedacht werden. Schließlich sollten Unternehmen auch Diversity- und Inklusionsstrategien verfolgen, um ein breiteres Spektrum an Talenten anzusprechen. Diese sind keine politischen Themen, sondern schlichtweg wirtschaftliche Notwendigkeit.

Wie lässt sich das Bewusstsein für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeits- und den Fachkräftemangel schärfen?

Andreas Peichl:  Es ist entscheidend, dass sowohl Unternehmen als auch die Gesellschaft als Ganzes den Ernst der Lage erkennen, verstehen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist nicht nur ein Problem einzelner Unternehmen, sondern hat weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft und unseren gesellschaftlichen Wohlstand. Wir müssen die volks- und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie den Bedürfnissen der modernen Arbeitswelt entsprechen.

Michael Eger: Und wir müssen Menschen frühzeitig für Bildung und Arbeit begeistern. Nur durch Zusammenarbeit und Innovation können wir die Herausforderungen meistern und eine nachhaltige Zukunft für den Arbeitsmarkt und damit auch unsere Gesellschaft sichern.

Vielen Dank für das Gespräch

Aktuelle Veröffentlichungen des ifo-Instituts zu Fragen des Fach- und Arbeitskräftemangels in Deutschland und Europa

1. Peichl, A., S. Sauer und K. Wohlrabe (2022), »Fachkräftemangel in Deutschland und Europa – Historie, Status quo und was getan werden muss«, ifo Schnelldienst 75(10), 70–75.

2. Peichl, A., S. Sauer und K. Wohlrabe (2025), »Arbeits- und Fachkräftemangel – aktuelle Lage und Projektionen im europäischen Vergleich«, ifo Schnelldienst 78(3), 51-57.

3. Hennrich, Jonas / Schaller, Daria (2025): Weiterbildungsmaßnahmen in Unternehmen: Fachkräfte gewinnen und fördern, ifo Schnelldienst, 2025, 78, Nr. 04, 33-35

4. Schaller, Daria (2024): Chancengerechtigkeit am Arbeitsmarkt als Teil der HR-Strategie gegen Arbeits- und Fachkräftemangel, ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 05, 73-77

Über den/die Autor:in(nen)
Prof. Dr. Andreas Peichl

Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik & Befragungen

Michael Eger

Partner HR Transformation Career Central Europe, Mercer

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